2016: BaWü grünschwarz

Dokumentation der FORUM 2025 Veranstaltung "BaWü grünschwarz - Sozialpolitische Ziele der neuen Landesregierung im Dialog " vom 18. November 2016

Die Aussagen im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung bezeichnen für die kommenden Jahre eine aktive Sozialpolitik als zentrale Grundlage für das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spitzenposition des Landes.

Was dies für die Akteure im Sozialbereich bedeutet und welche politischen Alternativen angeboten werden, war am 18. November 2016 Thema des FORUM 2025 im Stuttgarter GENO-Haus.

Der Vormittag startete mit einem Wort zum Tag Stiftungsratsvorsitzenden der Stiftung Jugendhilfe aktiv und Dekan in Stuttgart-Degerloch Dr. Wolfgang Röhl und einer einleitenden Worten von Ulrich Teufel, Pädagogischer Vorstand der Stiftung Jugendhilfe aktiv.

Im ersten Fachreferat stellte Thomas Poreski, Sozialpolitischer Sprecher der Fraktion der GRÜNEN im Landtag, die Ziele der Regierungsfraktion vor. Im zweiten Referat gab die ehemalige Sozialministerin Frau Altpeter (SPD) einen kurzen Rückblick auf die von der grünroten Vorgängerregierung initiierten Vorhaben und formulierte grundsätzliche sozialpolitische Ziele für die kommenden Jahre.

Es folgte das Referat des Bundesvorsitzenden der Partei DIE LINKE, Bernd Riexinger, der nach der Vorstellung der sozialpolitischen Grundlagen eine (Re-)Politisierung der Sozialen Arbeit anregte.

Nach einer kurzen Pause diskutierten die Referenten gemeinsam mit Eva-Maria Armbruster, stellvertretende Vorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg und Ulrich Teufel, Pädagogischer Vorstand der Stiftung Jugendhilfe aktiv, unter Leitung  von Siegfried Keppeler vom Diakonischen Werk Württemberg die Beiträge unter Beteiligung der Anwesenden.

Die folgenden Artikel präsentieren eine Zusammenfassung der Grundthesen aus den Redebeiträgen der Referenten. 

Dr. Wolfgang Röhl: Gerechtigkeit

Dr. Wolfgang Röhl,  Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung Jugendhilfe aktiv und Dekan in Stuttgart-Degerloch, thematisierte in seinem Wort zum Tag das Thema Gerechtigkeit als Erbe der Menschheitsgeschichte.

Besonderes Gewicht, so Röhl, sei dabei auf den Wechsel der Perspektive zu legen, der den Blick von den Herrschenden hin zu den am Rand Stehenden wende. Diese nicht als Objekte der Fürsorge zu begreifen, sondern in ihrem angestammten Recht auf Gerechtigkeit zu begreifen, sei zentraler Ausgangspunkt christlicher Grundüberzeugungen.

Ulrich Teufel: Postfaktische Zeiten

Ulrich Teufel, Pädagogischer Vorstand der Stiftung Jugendhilfe aktiv, betonte in seinen einführenden Worten die Bedeutsamkeit des Blicks auf gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge gerade auch für die Akteure im Bereich Jugendhilfe. Diese nicht in ihrer Bedeutsamkeit für die tägliche Arbeit in den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe zu erkennen, sei unverständlich.

Haltung der Stiftung Jugendhilfe aktiv sei es daher stets, neben der konkreten Arbeit mit ihren Klienten auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken, in sozialpolitischen Gremien wirksam zu sein. Ein Beispiel für die notwendige Positionierung sei eine Veranstaltung wie die heutige.

Jugendhilfe in Postfaktische Zeiten

Gerade angesichts der aktuellen politischen Großsituation sei dies besonders bedeutsam. In "postfaktischen" Zeiten, wo Emotionalisierung rationales Abwägen und Handeln bedroht und Abstimmungen und Wahlen beeinflusst, müssten, so Teufel, demokratische, christliche Werte  verteidigt werden. In die Praxis des Jugendhilfebereichs umgesetzt bedeute dies, Jugendlichen, die sich an den Rand gedrängt fühlten und populistischen Tendenzen ausgesetzt seien, ein demokratisches, gleichberechtigtes Gegenmodell in der Kinder- und Jugendhilfe vorzuleben.

Probleme ernst nehmen, Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, ja, so Teufel, dies sei wichtig. Zugleich sei es aber von großer Bedeutsamkeit, sich, wo notwendig,  klar und deutlich gegen Hassparolen, gegenseitige Verunglimpfungen, Gewalt gegen Sachen oder gar Menschen zu wenden.

Thomas Poreski: Empowerment

Thomas Poreski, Sozialpolitischer Sprecher der Baden-Württembergischen Regierungsfraktion der GRÜNEN, machte den Anfang bei den drei Fachvorträgen des Vormittags. Als ehemaliger Streetworker sehe er wie sein Vorredner Herr Teufel und Herr Röhl die aktuelle Herausforderung darin, so Poreski,  Menschen, die sich abgehängt fühlten, für die Inhalte einer offenen Gesellschaft zu gewinnen.

Zeiten, die unübersichtlich seien, verlangten eine aktive Sozialpolitik von der Fürsorge hin zur Teilhabe. Dabei sei Fürsorge in der akuten Situation gut, Ziel sei aber stets das Prinzip des "Empowerment"; Menschen sollten zu Experten in eigener Sache und als solche anerkannt werden.

Soziale Teilhabe habe stets einen sozialen und einen materiellen Aspekt. Diese Faktoren ließen sich nicht trennen. Zur sozialen Teilhabe gehörten lebendige Quartiere als Lebensumfeld, in denen Menschen Selbstwirksamkeit und Wertschätzung empfänden. Voraussetzungen für das Entstehen von Selbstwirksamkeit sei dabei eine funktionierende Infrastruktur von Bildung, Erziehung und Beratung bzw. Betreuung.

Dies würde konkret durch das Landesarbeitsmarktprogramm der Landesregierung angestrebt. Die Förderung der unabhängigen Erwerbslosenberatung bezeichnete Poreski dabei als Prototyp dafür, wie sich die Landesregierung dies vorstelle. Auf diese Weise würde Transparenz in Gerechtigkeitsfragen hergestellt.

Bestärken nicht bevormunden

Der materielle Aspekt umfasst die Rahmenbedingungen, die das Bundesland bieten müsse.  Menschen sollten bestärkt, nicht bevormundet werden.  Hierbei spiele ein erweitertes Verständnis der Menschenrechte eine wichtige Rolle. Ein Beispiel hierfür sei die Tatsache, dass Kinderrechte als Teil der Landesverfassung durchgesetzt worden seien, Kinder also ein verfasstes Recht auf gewaltfreie Erziehung hätten. Hier gelang es laut Poreski, eine Bestand-Sicherung des Erreichten auch mit dem neuen Koalitionspartner CDU zu erreichen. 

Zu weiteren sozialpolitischen Errungenschaften zählten die Herabsetzung des Wahlalter für Kommunalwahlen auf 16 Jahren, die erweiterte Jugendbeteiligung über die Gemeindeordnung - hier konnte der "Zukunftsplan Jugend" aufgestockt werden. Weiterhin betonte Poreski die die Tatsache, dass das Land ein Drittel der Jugendsozialarbeit bezahle, das Wohn-Teilhabegesetz für ältere Menschen durchgesetzt und im Bereich Quartiersentwicklung vorankomme. Ebenfalls ein wichtige Errungenschaft sei das Psychischkranke-Hilfegesetz mit garantierter unabhängiger Beratung.

Arbeitsteilung zwischen Land und Bund

Die sozialpolitischen Möglichkeiten des Landes seien beschränkt, so Poreski. Der Bund sei für den materiellen Nachteilsausgleich zuständig, das Land eher in der Bereitstellung leistungsfähiger Infrastrukturen und der Umsetzung des Subsidaritätsprinzips. Zugleich sei Baden-Württemberg aber über den Bundesrat in die allgemeine Gesetzgebungsprozess eingebunden. Hier führte er vor allem das Wirken der Regierung im Rahmen des umstrittenen Bundesteilhabegesetzes an, wo Eckpunkte festgelegt wurden.

Zum Arbeitsentwurf zum SGB8 erläuterte Poreski, dass es seines Wissens nach einen Neustart in der nächsten Bundeslegislaturperiode geben würde. Es gäbe zwar noch Sitzungen, im Ansatz könne es noch kleine Tranchen geben. Zudem sprach er den Antrag von Bayern an, der eine sozialpolitsche Andersbehandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen anstrebe. Hier sei die Position des  Sozialministeriums klar. Jugendhilfestandards wie individuelle Rechte von Jugendlichen müssten für alle gleichermaßen gelten. Es würde folglich keinen Baden-Württembergischen Sonderweg gegen KJHG-Standards geben.

Sozialpolitische Leuchttürme der Landesregierung

Vier Sozialpolitsche Leuchttürme nannte Poreski für die laufende Legislaturperiode:

  • Der Masterplan Jugend würde den Zukunftsplan Jugend weiterführen. Für den Dialogprozess mit den Beteiligten über dessen Anwendung seien zusätzliche Mittel von jährliche 1,5-2,5 Millionen Euro angesetzt. Auch die Ombudsschaft in der Jugendhilfe würde weiter verfolgt, schwierig sei, das das Verwaltungshandeln auf kommunaler Ebene sehr unterschiedlich sei.
  • Weiterhin würde die sozialpolitische Quartiersentwicklung in Form von Kinder- und Familienzentren weiter vorangetrieben. Dezentral organisiert und in einer Mischung aus Ehren- und Hauptamt. Dies würde allerdings über den Haushalt des Kultusministeriums finanziert. Ziele seien zudem weiterhin die Schaffung barrierefreier öffentlicher Räume.
  • Der Pakt für Integration sei mit 160 Millionen ausgestattet. 90 Millionen Euro würden als Kopfpauschale, das seien 1150 Euro jährlich pro Kopf, 70 Millionen Euro für Projekte vorgesehen. Der Pakt für Integration sei stets im Zusammenhang mit der Quartiersentwicklung und dem sozialen Wohnungsbau zu sehen.
  • Vierter Leuchtturm schließlich sei das Thema Gesundheits- und Krankenhausversorgung.

Der Fokus der Erkenntnisse des 900 Seiten umfassende Armutsberichts aus der zurückliegenden Legislaturperiode liege nun in der Umsetzung der Erkenntnisse und der Verstetigung von Projekten, die erfolgreich liefen. Auch das Landesbehinderten-Gleichstellungsgesetz würde fortgeführt. In allen Landratsämtern gebe es inzwischen Behindertenbeauftragte, auch wenn ihre Unabhängigkeit von Fall zu Fall noch zu wünschen gäbe. Steffi Effner, die neue Beauftragte in diesem Bereich, sei sozialrechtlich eine führende Fachkraft in diesem Bereich.

Ebenfalls fortgeführt würde der Aktionsplan Toleranz und gleiche Rechte.

Abschließend betonte Thomas Poreski, dass alle Bemühungen von der Finanzierung abhingen. Das Thema Haushalt sei nie einfach, auch die anderen Fachbereiche sähen verständlicherweise Ihr Ressort als wichtigsten Bereich an. Trotzdem sei er überzeugt, bald davon, dass es ein überraschend guter Haushalt bezogen auf das Volumen würde.

Katrin Altpeter: Sozialpolitik als Beteiligungspolitik

Katrin Altpeter, ehemalige Arbeits- und Sozialministerin Baden-Württemberg, SPD wies nochmals auf die Präsidentenwahlen in den USA hin, deren Ergebnis, so Frau Altpeter, die Welt noch ein Stück unsicherer gemacht habe. Entwicklungen betreffen nicht nur die USA, sondern auch Baden-Württemberg im Landtag. Das konnte man sich nicht wirklich vorstellen.

Es stecken zum einen sicherlich Gerechtigkeitsfragen dahinter, aber auch die Angst, dass Wohlstand nicht zu halten ist. Das ist ein wichtiges weltweites Thema. Wenn Politik, und zwar demokratische Politik Menschen auffangen soll, so Altpeter, dann sei sie die Auffassung, dass Politik diese Ängste auffangen muss. Die Antworten auf die Sorge, so Altpeter auch selbstkritisch, dass die Antworten auf diese Sorgen nicht in genügendem Maße von der Politik kamen.

Dies sei ein ganz wichtiges Thema gerade auch als Teil der Sozialpolitik. Aufgabe der Sozialpolitik ist es immer, gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen und damit auch die Ängste der Menschen aufzugreifen und Antworten zu geben. Diese könne die Landespolitik nur in einem begrenzten Maße. Aber es muss die Aufgabe der Zukunft sein, damit rechtspopulistischen und rechtsradikalen Tendenzen keinen weiteren Nährboden finden.

Sozialpolitik wurde lange Zeit als Fürsorgepolitik verstanden, im Sinne von Wohltaten für Menschen. Sozialpolitik muss deutlicher werden im Vergleich zu anderen Politikfelder. Bezeichnend, so Altpeter, sei in Ihrer Regierungszeit als Ministerin die Beobachtung gewesen, über was Medien berichten, bzw. nicht berichten. So wurde Ihrer Meinung nach über die Resultate grünroter Sozialpolitik nicht genügend berichtet, obwohl sehr viel erreicht wurde.

"Ich bin nicht die Tante Bruseliese von Baden-Württemberg"

Sozialpolitik muss öffentlich eine andere Stellung bekommen. Sowohl das Grundgesetz als auch die Landesverfassung benennt die Schaffung gleicher Lebensverhältnisse als Ziel. Sozialpolitik muss Beteiligungspolitik sein. Nicht Fürsorge. Dies gilt für alle sozialpolitische Felder. Sei es Kinder- und Jugendhilfe, die Sorge für ältere Menschen und die Frage der Versorgung der Kranken. "Ich bin nicht die Tante Bruseliese, Pippi Langstrumpfs Forsorgin, von Baden-Württemberg". Pippis Fürsorgerin, so habe sei nie ihre Aufgabe gewesen.

Es geht darum weitere Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen, mit entsprechenden Räumen und Finanzierungen. Landesarbeitsmarktprogramm, erste Armutsbericht für Baden-Württemberg gegen die Meinung, dass wir ein reiches Bundesland sei, wo es so etwas nicht gebe.

Große Risiken liegen bei Alleinerziehenden. Ansatzpunkt Qualifizierung von alleinerziehenden jungen Frauen, Teilzeitausbildung und finanzielle Untertützung. Qualifizierung, damit diese von dem was sie verdienen, leben können und in der Lage sind, ihre Kinder angemessen großzuziehen.

Jugendhilfe - die Drittelförderung von Schulsozialarbeit durch das Land. Jede zweite Schule hat dadurch Schulsozialarbeiter. Wenn wir von Jugendhilfe reden, dann gibt es immer noch eine Trennung von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Ich bin unsicher, ob die unsicheren Zeiten diese Trennung weiterhin begründen. Altpeter plädiert dafür, Jugendsozialarbeit und Jugendhilfe generell zusammenzuführen, um sich nicht auseinander dividieren zu lassen, wo man doch in den gleichen Bereichen tätig sei. Es geht um stärken beider Bereiche.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz komme nicht, was Altpeter gut findet. Das bestehende Kinder- und Jugendhilfegesetz sei bereits jetzt eines der besten Gesetzeswerke. Es bedürfte keiner großen Änderungen, es müsse nur mit Leben ausgefüllt werden.

Bernd Riexinger: Politisierung der sozialen Arbeit

Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Partei DIE LINKE, startete mit der Vorbemerkung, dass es ein Irrtum sei, der  neue US-Amerikanische Präsident Trump sei nur von "Abgehängten" gewählt worden. In der Mehrheit hätten Menschen mit 50.000 Dollar Jahreseinkommen Trump gewählt.

Dies sei in Deutschland zum Teil ähnlich. Hoch anfällig sei die Mittelschicht, die Abstiegsängste habe.Immer schon habe es 10-15 Prozent chauvinistische, autoritäre, rechte ausländerfeindliche Einstellungen gegeben. Die aktuelle Formierung dieses Personenkreises habe etwas mit der grundlegenden sozialen Entwicklung zu tun. Es bestünde eine auseinander gehende Schere zwischen Reich und Arm, ein prekäre Beschäftigungslage und hohe Risiken der Kinderarmut auch in Baden-Württemberg.

Dieser Anteil sei zwar geringer als in anderen Ländern. Erschwerend käme aber gerade in einem Hochpreisland wie Baden-Württemberg hinzu, dass es für Arme in einem reichen Land sehr viel schwieriger sei zu leben. In Stuttgart, wo jedes zehnte Kind arm sei, sei es nicht so leicht über die Runden zu kommen. So liege das Armutsrisiko insbesondere bei Alleinerziehenden bei 45 Prozent. Er sehe kein richtiges Konzept der Landesregierung in der Armutsbekämpfung.

Zur Bekämpfung müsse man, so Riexinger, das Harz4-Gesetz ändern.

"Kinder können nichts dafür in welches Elternhaus sie hineingeboren sind."

Nicht die Eltern müssten sich um Gerechtigkeit kümmern, das sei Aufgabe der Gesellschaft. Dies fange in der Bildung an. Das System in Baden-Württemberg basiere auf sozialer Auslese. Die soziale Benachteiligung würde nicht ausgeglichen, es gäbe keine soziale Inklusion. Kinder aus bildungsfernen Schichten müssten stärker gefördert werden; mehr Lehrer und eine bessere Ausstattung seien notwendig. Im Gegensatz zu diesem notwendigen Ausbau, befände sich die Politik der grünroten Koalition in Baden-Württemberg im Stillstand.

IN Kindertagestätten und frühkindliche Erziehung hersche ein enormer Personalmangel. Es fehlten laut GEW 6000 Erzieherinnen. Allein in Stuttgart fehlten 3000 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Hier finge die Auslese an, hier müssten soziale Defizite ausgeglichen werden.

Soziale Berufe sind unterbewertet und unterbezahlt

Das soziale Drama sei, das soziale Berufe unterbewertet und unterbezahlt seien, so Riexinger. Dabei gäbe es seiner Meinung nach, keinen Grund, Leuten, denen wir unser Geld anvertrauen, mehr zu zahlen, als Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen. Dies müsste eigentlich in einem sozialen Staat anders sein. Es gäbe kein Industrieland, bei der die Differenz zwischen sozialer Arbeit und industrieller Arbeit so groß sei wie in Deutschland. Im Jahreseinkommen bestünde eine Differenz von rund 15.000 Euro. Einen Grund sieht Riexinger darin, dass soziale Berufe klassische Frauenberufe seien. Es benötige eine Aufwertung sozialer Arbeit.

Ungefähr 25 Prozent in Baden-Württemberg arbeiten in prekären unsicheren Arbeitsverhältnissen. Die herrschende "Befristerei", so Riexinger,  sei eines der unmöglichsten Dinge. In den 70er Jahren habe es keine Befristung gegeben. Heute würde dagegen jeder zweite Arbeitsvertrag befristet.

Damit sei die Zukunft für die Arbeitnehmer nicht planbar. Ein weiteres Problem sei Outsourcing, was immer die Folge von Tarifflucht und mangelnde Alterversorgung bedeute, da dadurch bei vielen die Zusatzversorgung bei der Rentenversicherung wegfiele. Diese Tendenzen hätten sich losgelöst von der Konjunkturlage und teilweise auch in sozialen Institutionen nur noch 60 Prozent als Stammbelegschaft tätig.

Wohnungspolitik

Die Wohnungspolitik mache die Menschen arm. Dies beträfe inzwischen nicht nur die Armen, sondern auch die Durchschnittsverdiener. Eine Erzieherin könne mit 1300 Euro netto eine Miete in Stuttgart von durchschnittlich 800 Euro kaum aufbringen. Wohnungen seien inzwischen etwas, was am stärksten der Spekulation unterliege. "Betongeld" habe zu Spekulationen mit Wohnungen gesorgt.

100.000 Wohnungen würden in Baden-Württemberg im Jahr benötigt. Gebaut würde aber kaum in diesem Bereich. Sozialwohnungen seien im zurückliegenden Jahr 300 gebaut worden, aktuell seien nur wenige mehr geplant, was zu wenig sei.  

Dies stellt nach Meinung Riexingers das größte sozialpolitische Versagen. Nicht private Investoren seien hier gefordert. eine angemessene Sozialpolitik würde öffentliche und gesellschaftliche Genossenschaften im Wohnungsbau unterstützen.

Rente

Eine Zunahme der Altersarmut sei bereits beobachtbar. Dies habe mit der Rentenpolitik zu tun. Die Hälfte der Personen, die 2020 in Rente gingen, so Riexinger, erwarteten eine Rente um die  Grundsicherung von 788 Euro.

Dies lasse auf die zukünftige Entwicklung schließen. Die Hälfte aller Beschäftigen in Baden-Württemberg verdienten unter 1500 Euro netto, zugleich sinke das Rentengrundsicherungsniveau auf 43 Prozent. In Österreich liege dies bei 70 Prozent und, so Riexinger, Österreich sei noch nicht nicht bankrott gegangen. Grund des höheren Prozentsatzes bei der Rentenberechnung sei, dass in in Österreich die paritätische Finanzierung nicht abgeschafft worden sei. Arbeitgeber zahlten mehr als die Arbeitnehmer in die Rentenkasse ein und alle zahlten ein, Beamte, Politiker und Selbständige. Dies wäre nach Meinung Riexingers auch in Deutschland notwendig.

Sozialpolitische Rahmenbedingungen betreffen Kinder- und Jugendhilfe

Diese sozialpolitischen Grundlagen beträfen auch den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.  Erziehungshilfe und Schulen seien unmittelbar von diesen Entwicklungen betroffen. Daher sei es laut Riexinger unbedingt notwendig, über grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen im sozialen Bereich zu diskutieren und sich nicht nur der sozialen Facharbeit zuzuwenden. Diese sei zwar wichtig, auch er habe ehrenamtlich im sozialen Bereich gearbeitet. Früher war dies allerdings ein hochpolitisierter Bereich. Nach Ansicht Riexingers müsste man heute im Sozialbereich am meisten über soziale Gerechtigkeit diskutieren.

Integration von Flüchtlingen

Positionen der AFD zu übernehmen sei dabei falsch. Integration müsse auf dem Arbeitsmarkt in Form tariflich abgesicherter fester Stellen stattfinden. Personen, die stets auf Transferleistungen angewiesen sind, blieben Objekt, gegenüber dem Vorurteile geltend gemacht würden.

Das zweite Problem sei das Wohnen. In Gemeinschaftsunterkünften sei keine Integration möglich. Dabei müssen beide Gruppen vom öffentlichen Wohnbau bedient werden, die Inländer wie die hier Hilfe suchenden.

Bildung und Erziehung seien wichtige Faktoren bei der Integration. Flüchtlinge zu integrieren bedürfe zusätzlicher Anstrengung bei  Sprache, Erziehung und Bildung. Unbegleitete Flüchtlinge müssten gleich behandelt werden.

Man benötigt eine Finanzierung von Dolmetschern, da das Sprachproblem nicht so schnell gelöst sei. Kinder mit unterschiedlichsten Bildungsstand müssen betreut werden. Individuelle Förderpläne seien notwendig. Dies sei angesichts des Lehrermangel schwierig. Auch Traumatisierung sei ein Thema, hier benötige es hoher pädagogische Anstrengung.

Anstrenungen in der Ausbildung seien notwendig. Hier wären ein garantiertes Bleiberecht während der Ausbildung und danach wichtig, die Abschiebepraxis sei nicht vertretbar. Dabei sei es völlig normal, dass die jungen Menschen mit guter Berufsausbildung wieder in Ihre Ursprungsländer zurückgingen, wenn sich die politischen Verhältnisse dies zuließen. Gut ausgebildete Fachkräfte hier zu behalten, wäre nicht in Ordnung.

Falls dies nicht gemeistert würde bestünde laut Riexinger die Gefahr der Bildung eines weiteren Subproletariat. Alles was jetzt nicht gemacht würde, müsste später in Justiz und andere Prozesse investiert werden und würde wesentlich teurer.

Diesen Herausforderungen müsse man sich stellen. Der Jugend- und Sozialarbeit komme hier eine wichtige Rolle zu. Es reiche aber nicht aus, wenn sich die Sozialarbeit darauf beschränke, der Reparaturbetrieb der sozialen Misere zu sein und dies gar noch als gutes Geschäftsmodell zu sehen.

Dies wäre völlig falsch. Man müsse an die Ursachen gehen und daher plädiere er, Riexinger, abschließend für eine Politisierung der Arbeit in den sozialen Bereichen.