Fachtag Mädchen

Fachtag Mädchen in der Erziehungshilfe »Die Kunst in Beziehung zu sein...«

Lernprozesse sind Beziehungsprozesse, die auf Beziehungserfahrungen basieren, das war die Kernaussage der ersten Phase unseres zweitägigen Fachtags im Esslinger Theodor-Rothschild-Haus am 23. und 24. März 2017, bei dem Dr. Martina Hoanzl von der PH Ludwigsburg das zentrale Referat beigesteuert hat. Es ging um die spezifischen Anforderungen, welche die Arbeit in Mädchenklassen von E-Schulen an die Pädagogen stellt. Die mehr als 70 Teilnehmer setzten sich mit der Frage auseinander, wie die Lehrerinnen und Lehrer entwicklungsfördernde Beziehungserfahrungen in den (Schul-)Alltag der Mädchen integrieren können.

Ausgangspunkt der Überlegungen war die Beobachtung, dass benachteiligte Mädchen zunehmend krasse Formen von selbstschädigendem Verhalten zeigen. Sie „verbiegen“ sich bis hin zur Selbstaufgabe, nur um jenen zu gefallen, von denen sie im Moment abhängig sind. Wie ist das möglich?

Mit vielen anschaulichen Beispielen und Wortwitz erläuterte Martina Hoanzl die psychologische Wirkung dysfunktionaler Beziehungen. Die Grundannahme, dass  die Entwicklung des „Selbst“ in höchstem Maße davon abhängig ist, wie Kinder von ihren Bezugspersonen gesehen werden, ist zentral wichtig. Kinder „spiegeln“ sich in den Augen von bedeutsamen Menschen. Sie lernen sich durch die Augen der Anderen selbst zu erkennen. Doch was geschieht, wenn sich die Bezugspersonen aufgrund eigener Belastungen nur dann dem Kind zuwenden können, wenn es ihren Erwartungen entspricht und nicht dann, wenn es eigene Bedürfnisse und Entwicklungsimpulse zeigt? Dann kann laut D.W. Winnicott ein „falsches Selbst“ entstehen, das danach fragt: „Wie willst Du mich haben?“ „Wie soll ich sein, damit zwischen uns überhaupt eine Verbindung entstehen kann?“ Fragen, die um den hohen Preis der Selbstverleugnung Scheinlösungen finden. Diese Dynamik betrifft Mädchen wie Jungs, aber beide Geschlechter zahlen einen anderen Preis für diese Überanpassung, die nicht durchgehalten werden kann und brüchig wird.

Außerdem zeigte Martina Hoanzl auf, wie sich die Dynamik des „falschen Selbst“ auf Jungen und Mädchen unterschiedlich auswirkenauswirken kann, nicht ohne dafür zu plädieren, diese Dynamik auch für benachteiligte Jungs zu untersuchen. Sie vermittelte Leitlinien dafür, wie Lehrer wirksam Beziehungen zu Schülerinnen aufbauen können. Anschließend haben die Teilnehmerinnen am Nachmittag in drei Workshops über diese Themen weiter diskutiert.

In der zweiten Phase des Fachtags haben die Teilnehmer vor allem Antworten auf die Frage gesucht, wie die Belange und Interessen der Mädchen bzw. Jugendlichen außerhalb der Schule auf der gesellschaftspolitischer Ebene vertreten und in den Focus sowohl der Öffentlichkeit als auch der Politik gerückt werden können. Ulrike Sammet und ihre Kollegin Jessica Wagner von der LAG Mädchenpolitik Baden-Württemberg gaben uns wertvolle Einblicke und Anregungen, auf deren Grundlage die Teilnehmer quer weitergedacht haben. Es wurde deutlich, dass die parteiliche Mädchenarbeit sehr viel Engagement von den Lehrkräften über den Unterricht hinaus erfordert.

In der anschließenden Diskussion war man sich einig, dass die Rahmenbedingungen der Mädchen in der Erziehungshilfe weiter verbessert werden müssten. Dafür sei es notwendig, dass sich die Pädagoginnen und Pädagogen der Mädchenklassen der E-Schulen bundesweit und trägerübergreifend noch besser vernetzen. So wurde beschlossen, einen gemeinsamen Blog im Internet zu erstellen, um sich bei der Arbeit gegenseitig effektiver unterstützen zu können.

Das Ziel des Fachtags war es, die Beziehungsarbeit mit Mädchen und jungen Frauen in der Erziehungshilfe zu verbessern. Lehrerinnen und Lehrer der Albert-Schweitzer- und der Dietrich- Bonhoeffer-Schule haben ihn gemeinsam mit großem Engagement und hohem Organisationsaufwand konzipiert und organisiert. Im Vorfeld hatten sie sich dem Thema „Die Kunst, in Beziehung zu sein…“ mit ihren Mädchenklassen ganz praktisch angenähert. Im Unterricht arbeiteten die Schülerinnen an  ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Selbstbild bzw. entwickelten Mobile dazu. Außerdem fertigten die Mädchenklassen im Kunstunterricht lebensgroße Holzstelen an, die die Schülerinnen bemalt, bedruckt oder beklebt haben.

Das Interesse an diesem Fachtag war sehr groß, aus verschiedenen Bundesländern kamen die teilnehmenden Lehrer, Mitarbeitende der Jugendhilfeeinrichtungen sowie PH-Studenten und verfolgten die kurzweilige Veranstaltung mit großer Aufmerksamkeit. Selbst während des gemeinsamen Mittagessens und den Kaffeepausen mit leckerem selbstgebackenem Kuchen (Dank an die Catering-Firma der Albert-Schweitzer-Schule: „Pauline macht“) wurde rege weiterdiskutiert.

Zum Abschluss haben die Teilnehmenden ein sehr positives Feedback abgegeben. Im kommenden Jahr trifft sich der Arbeitskreis am 8. und 9. März in der Mädchenschule in Varel-Bockhorn.

Informationen zur Referentin Dr. Martina Hoanzl finden Sie auf der Seite der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Autorin: Maria-Theresia Burkert; Fotos: Beate Rödl und Thorsten Grimmer